Vorwärts, aber wohin?
Zum ersten Streitgespräch von münchenPolis
Politiker sind überbezahlte Butler der Wirtschaftsbosse.
Politiker sind
Vollzugsbeamte der Demoskopie.
Politiker sind Beschwichtigungskünstler,
Mangelverwalter, Fernsehclowns,
Geldverschieber, Ämtersammler,
Steuerlügner, Krisenmanager, Heißluftschwätzer.
Ja doch, wissen wir.
Aber muss das so sein? Nein, findet münchenPolis, eine Gruppe von jungen
Leuten,
die über politische und gesellschaftliche Reformen nachdenken und
die politische Streitkultur
um eine kritische Stimme bereichern will
- jenseits von Parteiengezänk und Lobbyinteressen.
Gesagt, getan. Unter dem Motto "Partei 2003 - Funktioniert Politik
noch?" wurde am Mittwoch,
den 19. November, im voll besetzten Kulturkiosk
Kanzler im Rahmen einer neuen Gesprächsreihe munter gestritten.
Mit dabei waren Andreas Scheuer (CSU, Mitglied der "Jungen Gruppe"
der CDU/CSU-Bundestags- fraktion), Dr. Axel Berg (SPD, Mitglied des
Bundestags) und Frank Günther vom Münchner Bürgerkonvent.
münchenPolis wurde vertreten von Julia Schmitt-Thiel, die die
Runde moderierte, und Max Zeidler,
der in das Thema einführte und dabei drei Thesen aufstellte:
- es gibt eine Parteienverdrossenheit und keine Politikverdrossenheit
- Parteien sind "überdehnt" und "abgekoppelt"
- Elemente der direkten
Demokratie müssen von den Parteien stärker aufgegriffen
werden
Dass die Politik in einer Krise steckt, belegte Frank Günther
mit Zahlen:
Immer mehr Mitglieder treten aus den Parteien aus, so habe die
SPD inzwischen fast
500 000 Mitglieder verloren (von 1,02 Million im Jahre 1976 auf 661 000
im Jahre 2003).
Auch die Wahlbeteiligung lasse stetig nach, vor allem bei den Landtags-
und Europawahlen.
"Das Produkt Politik wird zur Zeit nicht nachgefragt", so Günther.
Axel Berg räumte ein, dass es generell schwer sei, politisches
Interesse zu wecken,
egal, ob bei den Älteren oder den Jüngeren.
"Nur zwei Prozent der Bevölkerung sind in
Parteien organisiert", sagte er. Speziell die SPD müsse sehr
an sich arbeiten, denn sie sei
eine "strukturkonservative Partei", was sich aus ihrer Geschichte
ableite.
Gebraucht werde sie aber noch immer, wie die aktuelle Diskussion über soziale Gerechtigkeit
zeige. Das alte Proletariat sei durch neues Proletariat wie allein
erziehende Mütter ersetzt worden.
Von den Mühen der Basisarbeit berichtete Andreas Scheuer. Selbst
wenn man 1500 Einladungen verteilt habe, kämen kaum mehr als 15 Leute zu
einer Veranstaltung, denen oft das Biertrinken wichtiger sei als das Erörtern
politischer Probleme.
Obwohl er für neue Informations- und Veranstaltungsformen offen sei, glaube er nicht, dass ein "virtueller
Ortsverein" funktioniere. "Das Internet ersetzt nicht den persönlichen
Kontakt."
Ungut finde er, "dass wir Politiker alle über einen Kamm
geschoren werden", dabei sei es in der Politik nicht anders als
in der Gesellschaft: es gebe Leute, die sich engagieren, und welche,
die sich
nicht engagieren. Er selbst beispielsweise engagiere sich allein in
35 verschiedenen Vereinen.
Frank Günther fragte, warum es in Deutschland 17 000 Berufspolitker
geben müsse.
Diese Politiker würden zudem die Posten in allen öffentlichen
Gremien besetzen - bei den Landes- banken, in den Rundfunkräten,
an Gerichtshöfen. "Parteien haben einen
Allzuständigkeitsanspruch", der zu einer "unerträglichen
Verfilzung"
führe.
Das störe die Bürger.
Axel Berg, der mit einem Direktmandat im Bundestag sitzt und deshalb
das Spannungsverhältnis zwischen Freigeist und Fraktionszwang besonders
stark spüre, mochte nichts verwerfliches daran finden, dass demokratisch
legitimierte Politiker bei der Vergabe öffentlicher Ämter
mitmischen.
"Wer denn sonst, wenn nicht die?" Es gebe nicht nur "verkrustete
Strukturen", sondern auch eine "Politikerverdrossenheit" (und
eben gerade "keine Politikverdrossenheit").
Das befördere das "Desinteresse der Bürger", die man ja nur schwer zur Demokratie zwingen könne.
Zudem seien die Deutschen, von denen sich 90 Prozent zur Mitte zählen,
"extrem konsensorientiert", was unter anderem auch ein Grund für
die Regelungs-
und Gesetzesflut sei.
Andreas Scheuer erzählte von den Schwierigkeiten, gute Leute ohne
Parteibuch für politische Ämter zu werben. Dass es so wenig
Seiten- und Quereinsteiger gebe, liege nicht daran, dass die Parteien
das nicht wollten, sondern daran, dass die meisten dankend ablehnen, wenn man
ihnen zum Beispiel ein Amt als Stadtrat anbiete. "Wir haben ein massives
Vertrauensproblem", sagte Scheuer.
Das liege vielleicht daran, merkte jemand aus dem Publikum an, dass
es sich bei den derzeitigen Problemen nicht um Legislaturprobleme handele,
sondern um Generationenprobleme, weshalb man zur Problemlösung
vielleicht auch neue Parteien
und neue Formen der politischen Meinungsbildung brauche. Nein, sagten
die geladenen Gäste, die
Parteien müssten die zahlreich vorhandenen Lösungsvorschläge
nur besser umsetzen und besser verkaufen. In diesem Zusammenhangkam
der Verdacht auf, dass es sich beim Bürgerkonvent möglicherweise
um eine Tarnorganisation der CDU/CSU handele. Das wurde von Frank Günther,
selbst Mitglied ohne Aktivität in wechselnden Parteien (FDP, jetzt
CSU), energisch bestritten: "Wir kämpfen für mehr Ehrlichkeit
in der Politik." Andreas Scheuer und Axel Berg starteten daraufhin
sogleich eine Ehrlichkeitsoffensive. "Wenn wir gewählt werden,
gibt es auch nicht mehr zu verteilen," sagte Scheuer. Und Berg
gab zu: "Politik ist ein
schmutziges Geschäft. Da geht es, glauben sie mir, dreckiger zu
als anderswo."
Aber das muss ja nicht so bleiben.
Autor: Sven Siedenberg, münchenPolis