SOLIDARITÄT 2010 – Was ist das eigentlich?



In der "Bank", 8. Dezember 04
Auf dem Podium v.l.:
Sabine Busse, Michael Sturm, Prof. Franz Josef Radermacher, Christa Stewens, Heiko Hünsch, Max Zeidler



„Solidarität 2010 – was ist das eigentlich?“
– dieser Frage widmeten sich die Teilnehmer des fünften Streitgespräches von münchenPolis, dem Denk-Tank der jungen Generation. Rund 50 Interessierte waren in „die Bank“ in der Müllerstraße gekommen, um mit Bayerns Sozialministerin Christa Stewens, Prof. Franz Josef Radermacher (Universität Ulm) und den Herren Heiko Hünsch (Leiter Public Policy Issues, Siemens AG) und Michael Sturm (Diakonie Hasenbergl) über das Thema zu diskutieren.

Es gibt nicht EINE Solidarität, sondern ganz VIELE Solidaritäten. Aufbauend auf dieser Feststellung haben die Moderatoren, Sabine Busse und Max Zeidler, drei Bereiche definiert, in denen solidarisches Handeln gefordert und praktiziert wird: Erstens existiert in Deutschland mit dem Sozialstaat die institutionalisierte Ausformung der Solidarität , zweitens ist die Gesellschaft ein Netz der Solidarität auf privater Ebene und drittens hat die Wirtschaft als stabilisierender und arbeitgebender Bereich eine solidarische Verantwortung, die bisher kaum beachtet wurde. Ziel ist es, alle drei Bereiche auf den ersten Platz zu positionieren, so dass eine neue Gemeinsamkeit aller drei Bereiche entsteht anstelle der verbreiteten Reihenfolge im Denken über Solidarität, nämlich: erstens Staat, zweitens Gesellschaft, drittens Wirtschaft.

Essentiell für die Verwirklichung eines ganzheitlichen Solidaritäts-Ansatzes in 2010 ist laut Stewens die Neudefinition des Sozialen. Besonders der gesellschaftliche und staatliche Bereich muss sich an den wandelnden Gesellschaftsstrukturen orientieren, die Sozialversicherungssysteme neu organisieren und eine integrative Gerechtigkeit verfolgen. Im Sinne der Bürgergesellschaft ist die Verantwortung jedes Einzelnen gefragt. Daran anknüpfend wies Professor Radermacher auf den Aspekt der Chancengleichheit durch Ausbildung hin. Nur durch die kontinuierliche Investition in die Bildung der nachwachsenden Generationen kann ein sozialer Ausgleich gewährleistet werden. Außerdem muss die Solidaritätsfrage global und nicht national beantwortet werden, denn Globalisierung und Entsolidarisierung hängen eng miteinander zusammen. Die fortschreitende Ökonomisierung und Kommerzialisierung der Welt fördert den systematischen Rückbau des Sozialen.



In diesem Zusammenhang interessierte die Zuhörer die Rolle der international agierenden Unternehmen. Siemens handelt wie andere Unternehmen auch nach wirtschaftlichen Regeln, d.h. man geht dorthin wo das Wachstum ist und das befindet sich derzeit nicht in Deutschland. Ein azyklisches Verhalten sichert keine Arbeitsplätze und würde langfristig die Existenz gefährden. Solange die Bevölkerung durch ihr Konsumverhalten einen wesentlichen Beitrag zur Globalisierung leistet, wird sich der Kreislauf beschleunigen – ein Punkt, der im Publikum kontrovers diskutiert wurde. Herr Sturm holte die Gäste wieder auf die lokale Ebene zurück, indem er auf die aktuelle finanzielle Notlage der sozialen Einrichtungen z.B. der Diakonie im Münchner Stadtteil Hasenbergl hinwies. Nicht nur die Bürger sind dazu aufgerufen, sich stärker sozial zu engagieren, auch die Wirtschaft hat in diesem Fach noch nicht alle Hausaufgaben erledigt.

Anknüpfend an die Globalisierungsszenarien von Herrn Prof. Radermacher wurde an Heiko Hünsch die Frage gestellt, inwieweit Bürger und Unternehmen global denken und lokal handeln (können). Hierbei sind Staat und Wirtschaft gleichermaßen gefragt. Ersterer kann die Einzelverantwortung stärken, indem er mit dem Abbau der Bürokratie die Rahmenbedingungen verbessert und somit die Handlungsfreiheit jedes Einzelnen vergrößert. Letztere muss sich in Form der sozialen Marktwirtschaft für die Transparenz der wirtschaftlichen Netzwerke einsetzen. Beide zusammen bilden dann eine Struktur, an der sich der eigenverantwortliche Bürger orientieren und diese weiter gestalten kann. Ein gemeinsames Schaffen aller - münchenPolis versuchte es zu umschreiben mit dem neuen Begriff der „Machergesellschaft“ - ist ohne die selbstverständliche Solidarität jedes Einzelnen mit der gesamten Gesellschaft nicht möglich.

Wie reichhaltig das Thema ist, zeigten die vielseitigen Gespräche, die im Anschluss an das Streitgespräch geführt wurden. Wieder einmal hat der Münchner Denk-Tank einen Raum geschaffen, der Problemfelder aufdeckt, zum Nachdenken anregt und Lösungsansätze umreißt. Für das „Haus“ Solidarität 2010 ist erst der Grundriss geschaffen. Aufgabe besonders der jungen Generation ist es, weiter an einem stabilen Fundament auch für die nächste und übernächste Generation zu arbeiten.

 

Autorin: Marie Oetker, münchenPolis