RENTE 2004 - Warum sollen wir zweimal zahlen?


Im Kulturkiosk Kanzler, 7. Juli 04



Mit der Fragestellung „Rente 2004 – Warum sollen wir zweimal zahlen?“ haben die Macher von münchenPolis im Rahmen ihrer Münchner Streitgespräche erneut den Finger in eine brandaktuelle gesellschaftspolitische Wunde gelegt. Rund 50 Gäste verfolgten am 7. Juli die Podiumsdiskussion und beteiligten sich im Anschluss daran an der höchst emotional geführten Debatte. Dabei wurde schnell klar, dass es beim Thema Rente keine isolierte Lösung geben kann: Es muss an mehreren Fronten gleichzeitig gearbeitet werden, um die soziale Lage in Deutschland nachhaltig zu verbessern:
Die Familienpolitik muss ebenso reformiert werden wie eine Neugestaltung des Arbeitsmarktes unumgänglich ist – zwei Themen, die münchenPolis in den Streitgesprächen am 7. Oktober (Familienpolitik) und am 2. Dezember tbc. (Arbeit und Soziales) aufgreifen und vertiefen wird.


Die Renten-Experten auf dem Podium (Ulrich Demeter, Bereichsleiter der LVA Oberbayern,
Dr. Kurt Peter Merk
, Rechtsanwalt und Dozent das der Hochschule für Politik in München,
Florian Vogel
, ehemaliger Sprecher der Grünen Jugend München und Georg Rohleder, Vorsitzender
der JU Oberbayern) hatten im Kulturkiosk Kanzler alle Hände voll zu tun, ihre Standpunkte zu verargumentieren und die bohrenden Fragen des Publikums zu beantworten:

Demeter argumentierte stringent vom Standpunkt der LVA aus: Der Staat zahle schon heute massiv für eine gerechte Rente, Stichwort Familienlastenausgleich. 12 Milliarden Euro kämen jährlich vom Staat, damit derartige familienpolitischen Leistungen überhaupt finanziert werden könnten.

Merk stellte dagegen die historische (Fehl-) Entwicklung des Rentensystems seit 1957 dar. Im Gegensatz zu den Ideen Schreibers, der das System ganz anders erdacht habe, als es dann umgesetzt wurde, habe Konrad Adenauer aus politischem Kalkül den eigentlich dreigliederigen Generationenvertrag mit einer rechtlichen Gleichstellung der Kinder, der Arbeitenden und der Rentner gekippt.

Vogel beklagte in erster Linie die Hoffnungslosigkeit innerhalb der jungen Generation. Dies und die Tatsache, dass die Rentenfrage noch weit in der Zukunft liege, verhindere eine sinnvolle Debatte innerhalb der Jungen.

Rohleder setzte sich dafür ein, den Rentnern etwas zu nehmen. Die Zahl der Arbeitnehmer sinke, gleichzeitig würden die Rentner immer mehr. Also müsse man das Rentenniveau senken, nicht die Beiträge erhöhen.


Ausgangspunkt und zugleich Triebfeder der folgenden Debatte waren die wenig rosigen Aussichten für die Generation der heutigen Beitragszahler: Die Lohnanteile, die gegenwärtig in die Rentenkasse wandern, lägen bei 20,3 Prozent. Wer von 2040 an nun aber Rente bezieht, werde davon nur noch einen winzigen Bruchteil sehen – es stehen zu wenig junge Menschen zu vielen Alten gegenüber, stellte münchenPolis-Mit-Gründer Max Zeidler im Impulsreferat zu Beginn klar. Gegenwärtig bekämen Rentner noch weit mehr ausbezahlt, als sie anteilig an Beiträgen eingezahlt haben. Die junge Generation zahle also heute – und später noch einmal. Weil es ohne private Vorsorge künftig nicht mehr gehen werde.

Das gesamte Rentensystem müsse also grundlegend durchdacht werden – darüber herrschte Konsens. Über den Weg dorthin hingegen nicht. Folgende Lösungsansätze wurden vorgebracht:

Die Lebensarbeitszeit muss konsequent verlängert werden, damit die Beiträge nicht noch weiter wegbrechen. Die Rente könnte vom Faktor Arbeit abgekoppelt werden, das gegenwärtige System dafür an der Realität in anderen Ländern ausgerichtet werden (z.B. England, doch hoffentlich ohne die dortigen hohen sozialen Defizite).

Der demografische Wandel hin zu noch mehr Alten muss gebremst werden – sei es über gezielte Zuwanderung oder über eine neue Familienpolitik (s.a. Streitgespräch 7. Oktober).

Die Seite der Beitragszahler müsse aufgestockt werden – mit Freiberuflern oder über Zuwanderung. Auch über Teilungslösungen zwischen Arbeitenden und Renten-Beziehern bei neuen Rentenkassen-Defiziten sollte nachgedacht werden: Zu erneuten Beitragssteigerungen für die arbeitende Generation könne es dann nur bei einem gleichzeitigen Verzicht (und sei es auch nur durch eine Nullrunde bei der jährlichen Rentensteigerung) auch von Rentnerseite aus kommen.

Innerhalb der jungen Generation muss ein (Um-) Denken einsetzen: Die Rente scheint zwar noch unendlich weit weg – doch die Zukunft ist heute. Trotz der Komplexität des Systems - man muss sich mit der Rentenproblematik gezielt auseinandersetzen.

Viele Fragen wurden auch nach Ende des offenen Gesprächsforums noch weiterbesprochen bei Flaschenbier und massiven Tönen, aufgelegt von DJ Caromat.

Könnte nicht auch durch stärkere realpolitische Einbeziehung der Altersgruppe von 0-18 Jahren, z.B. durch ein Kinderwahlrecht, oder stärkere Lobbyarbeit, daran gearbeitet werden, die faktische Wählermacht der Rentner auszubalancieren? Im Sinne einer wirklich repräsentativen Demokratie, die alle Bevölkerungsgruppen gleichmäßig berücksichtigt - auch bei der zentralen Frage für jeden Politiker, nämlich der der Wählerstimme?


Autor: Uli Ertle, münchenPolis